Lessing und sein Zeitalter

Er spricht nicht nur über Bildung, er demonstriert sie ; er schreibt nicht nur über Tradition, er erneuert sie. Der Gegenstand und die Darstellung werden eins, und in dieser Identität von Sache und Sprache lebt selbst eine Tradition — die des Humanismus —, die zwischen Tun und Denken keinen Widerspruch duldet. Der Kritiker hütet auch diese Tradition bewußt; indem er „bildend ergriffen" wird von ihren Werken, mehrt er diese in seinem lebendig-kritischen Wirken. Bertolt Brecht wußte, warum die Akademie der Künste dem „großen Kritiker" Paul Rilla „ganz besonders für seinen un-erbittlichen Kampf um Reinheit und Reichtum der deut-schen Sprache" zu danken hatte. In diesem Kampf hatte Rilla das Werk des größten deutschen Aufklärers vor Augen. Das Wirken Gotthold Ephraim Lessings war ja der schließliche Inbegriff des „schöpferischen Sprachgedankens", einer „großartigen Nüchternheit", eben jener „Ordnung schaffenden" deut-schen Kritik. Schöpferisch im Sprachgedanken, nüchtern im Naturell, Ordnung schaffend im Dienste eines kultu-rellen Neubeginns — das war auch Paul Rilla. Robert Weimann (1969)